Generalüberholung eines Stoeckicht-Planetengetriebes einer Dampfturbine während des jährlichen Stillstandes
Dipl.-Ing. Thorsten Pasz*, BRAUER Maschinentechnik AG, Bocholt, Germany
Während des Betriebes wurden an einer Dampfturbine erhöhte Schwingungswerte gemessen. Die anschließende Überprüfung mit Videoendoskopie des Planetengetriebes zeigte ersten Verschleiß an einigen Bauteilen. Durch die BRAUER Maschinentechnik AG aus Bocholt wurde das Getriebe innerhalb von 4 Wochen aus der Anlage demontiert, generalüberholt und nach dem Wiedereinbau in Betrieb genommen. Bei der Überholung des Getriebes wurden beschädigte Innenteile erneuert.
Schnelllaufende Turbinengetriebe sind aufgrund der hohen Drehzahlen und der großen Leistungsdichte extrem beanspruchte Maschinenelemente. Eine Schwingungsüberwachung ist für solche Antriebe obligatorisch. Schon leichte Unregelmäßigkeiten, zum Beispiel durch Verschleiß, führen sehr schnell zu erhöhten Schwingungen. Die Entwicklung der gemessenen Werte muss beobachtet und die Ursachen sollten festgestellt werden. Ein plötzlicher Schaden kann durch Freiwerden der enormen kinetischen Energie verheerende Folgen haben.
Die bei der Schwingungsmessung festgestellten Frequenzen können in der Praxis nicht im-mer den vorhandenen Bauteilen zugeordnet werden. Dafür gibt es vielfältige Gründe. Unter anderem können komplexe hydrodynamische Prozesse das Schwingverhalten beeinflussen. Eine Überprüfung des Getriebes mit einem Hochleistungs-Videoendoskop durch die Getriebeexperten der BRAUER Maschinentechnik AG kann unabhängig davon Aufschluss darüber geben, in welchem Zustand sich das Getriebe befindet, welche Teile Verschleiß zeigen oder bereits beschädigt sind.
Nach Feststellung von Mängeln wird mit dem Kunden ein Konzept für die Überholung des Getriebes erstellt, das sich in der Regel an den möglichen Maschinenstillständen orientiert.
Beschreibung des Stoeckicht-Turbinen-Getriebes
Im vorliegenden Fall handelte es sich um die Überholung eines Planetengetriebes nach dem Stoeckicht-Prinzip von einer Dampfturbine mit 8.300 kW bei 8.600 U/min. Das Stoeckicht-Planetengetriebe (Bild 01) hat eine Doppelschrägverzahnung und einen feststehenden Planetenträger. Das schnelllaufende innere Sonnenrad ist nicht gelagert und über eine Zahnkupplung mit der Turbinenwelle verbunden. Die beiden Hohlräder sind ebenfalls zum Lastausgleich über Zahnkupplungen beweglich mit der langsamer laufenden Generatorwelle (1500 U/min) verbunden. Die Lagerung der 3 Planetenräder erfolgt über Gleitlagerachsen, die im Planetenträger montiert sind. Die Schmierung der Verzahnungen und Gleitlagerachsen erfolgt über Drucköl.
Mit dem Aufbau des Getriebes wird konstruktiv eine optimale Leistungsverteilung der Verzahnung erreicht, im Hinblick darauf, dass auch ausgereifte Fertigungsverfahren letztendlich Toleranzen unterliegen und Betriebsbedingungen veränderlich sind.
Vorgehensweise
Neben der permanenten Schwingungsüberwachung sollten schnelllaufende Turbinengetriebe regelmäßig einer visuellen Kontrolle unterzogen werden. Die Fachleute der BRAUER Maschinentechnik AG verwenden dafür ein mobiles Hochleistungs-Videoendoskop mit einer beweglichen Sonde, um auch schwer zugängliche Bereiche im Getriebe einsehen zu können. Da diese Art der Getriebe meist kein Schauloch haben, das geöffnet werden kann, erfolgt die Videoendoskopie durch Zu- oder Ablauföffnungen des Schmieröls.
Verschleiß oder erste Schädigungen können durch die Getriebeexperten frühzeitig erkannt und gegebenenfalls das weitere Fortschreiten beobachtet werden. Erfahrene Getriebefachleute können anhand von Verzahnungstragbildern, Fremdkörperspuren und vielen anderen Anzeichen anfängliche Schädigungen oftmals erkennen, bevor Schwingungsamplituden eine Veränderung erkennen lassen.
Anhand des Inspektionsberichtes mit klarer Handlungsempfehlung, ist für den Kunden ersichtlich, ob und gegebenenfalls wann eine Instandsetzung erforderlich ist. Gemeinsam mit dem Kunden kann eine Überholung des Getriebes strategisch so geplant werden, dass kein Produktionsausfall entsteht, zum Beispiel zeitgleich mit einer turnusgemäßen Turbinenrevision.
Durchführung der Instandsetzung
Abgestimmt auf den jährlichen Revisionsstillstand des Kunden wurden im Vorfeld alle Ersatzteile für eine kurzfristige Instandsetzung vorbereitet. Die Fertigung der doppelschrägverzahnten Getriebeteile, Zahnkupplungen und innenverzahnten Hohlräder erfolgte auf Bearbeitungsmaschinen der neuesten Generation, um die erforderlichen Genauigkeiten für ein schnelllaufendes Turbinengetriebe zu erreichen. Ein Team der BRAUER Maschinentechnik AG führte den Ausbau des Getriebes aus der Maschine, nach dem Herunterfahren der Dampfturbine, mit einem speziellen Werkzeugsystem durch. Anschließend erfolgte der Transport ins Werk nach Bocholt.
Die Instandsetzung beinhaltete neben dem Austausch der Stirnräder, Zahnkupplungen, Hohlräder und Planetenachsen (Bild 02) auch einen ausgiebigen Probelauf unter Teillast bei Betriebsdrehzahl (Bild 03). Nach erfolgter Prüfung der Temperaturen, des Schwingungsverhaltens, der Geräuschentwicklung und des Schmierölkreislaufs wurde das Getriebe zum Rücktransport verladen.
Nach dem vom Kunden festgelegten Zeitplan für die Turbinenrevision war ein Montageteam vor Ort als der Turbinenläufer freigegeben wurde um zeitnah das Getriebe zu installieren (Bild 04 und 05). Aufgrund der hohen Anforderungen erfolgte die exakte Ausrichtung zwischen Dampfturbine und Generator mit speziellen Messwerkzeugen.
Rohrleitungen, Isolierungen und Anbauteile mussten noch angebracht werden, bevor ein Aufheizen der Anlage möglich war. Das Hochfahren der Dampfturbine mit steigender Last wurde vom Montageteam begleitet und die Schwingungswerte dabei genauestens beobachtet. Das Ergebnis war ein deutlich geringeres Schwingungsniveau und das Getriebe wurde für den uneingeschränkten Betrieb innerhalb des vereinbarten Zeitraumes freigegeben.
Handlungsempfehlung für das Instandhaltungspersonal
Instandhaltungsleiter und Betriebsingenieure tragen eine hohe Verantwortung im Umgang mit Maschinen, insbesondere, wenn hohe Umfangsgeschwindigkeiten bei einem Bruch massive Folgeschäden verursachen können.
An schnelllaufenden Turbinengetrieben ist, wegen der extremen Beanspruchung und der schmierungstechnisch hochsensiblen Getriebebauteile, eine permanente Überwachung dringend zu empfehlen. Großes Augenmerk sollte dabei, neben der Schwingungsüberwachung, auch auf Temperaturen, Öldrücke und Ölvolumenströme gelegt werden. Schon geringe Veränderungen deuten meist auf Verschleiß oder Schädigungen hin.
Eine Inspektion mit Videoendoskopie durch speziell dafür geschulte Getriebefachleute bringt Aufschluss darüber in welchem Maße Schäden vorliegen. Erforderliche Maßnahmen oder eine zeitlichen Prognose für den Weiterbetrieb können durch die Ingenieure der BRAUER Maschinentechnik AG festgelegt werden. Reparaturstrategien mit Kostenplan geben dem Instandhaltungspersonal dabei wichtige Entscheidungshilfen in technischer Hinsicht und für die Budgetplanung.
*Thorsten Pasz ist unerwartet am 23.07.2019 verstorben.
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